Nach dem tödlichen Messerangriff auf eine Kindergartengruppe in Aschaffenburg entfacht einen Monat vor der Bundestagswahl eine politische Debatte. Anstoß dafür war vor allem die Frage: Warum war der mutmaßliche Täter, ein 28-jähriger Ausreisepflichtiger aus Afghanistan, noch in Deutschland? Anfang Dezember 2024 hatte er schriftlich angekündigt, freiwillig nach Afghanistan zurückreisen zu wollen.
Er habe sich beim Generalkonsulat Afghanistans um die nötigen Papiere kümmern wollen, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Weil durch die freiwillige Ausreise sein Asylverfahren beendet wurde, habe ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Bescheid geschickt, die Bundesrepublik zu verlassen.
Sechs Wochen später ist der Mann offenbar noch hier und wird nach der Messerattacke im Park, bei der ein zweijähriger Junge aus Marokko und einen 41 Jahre alter Mann aus Deutschland starben, als mutmaßlicher Angreifer festgenommen. Was ist hier schiefgelaufen? BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA hakt beim Rechtsanwalt für Asyl- und Aufenthaltsrecht Julius Becker nach.
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Messerangriff in Aschaffenburg: Behörden versäumen Abschiebefrist
Laut Herrmann sei der mutmaßliche Täter beim Messerangriff in Aschaffenburg wegen einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben worden. Das BAMF habe den Asylantrag des Mannes am 19. Juni 2023 abgelehnt und nach den Regeln des Dublin-Verfahrens eine Abschiebung nach Bulgarien angeordnet, sagte der CSU-Politiker in München. Die Zustimmung von Bulgarien dafür müsse etwa im Februar 2023 vorgelegen haben, erklärt Becker BuzzFeed News Deutschland.
Deutschland habe also ab Februar sechs Monate Zeit gehabt, den Asylbewerber nach Bulgarien zu überstellen. Die bayerischen Ausländerbehörden gaben an, erst im Juli 2023, wenige Tage vor Ablauf der Frist von der Abschiebung erfahren zu haben. Sie verpassten die Frist, weshalb das Asylverfahren des Afghanen in Deutschland stattfand. „Das ist Behördenversagen und passiert öfter“, sagt Becker.

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Indem der Asylbewerber im Dezember 2024 seine Ausreise ankündigte, sei sein Asylverfahren automatisch beendet und er ausreisepflichtig geworden. Dass das BAMF ihm dann noch schriftlich dazu aufforderte, auszureisen, sei zwar Standard, aber nicht unbedingt notwendig gewesen. „Deutschland erlässt solch eine Abschiebungsandrohung, damit man im Zweifel auch abschieben kann.“
Bei einer freiwilligen Ausreise müsse der Asylbewerber Dokumente wie den Pass und normalerweise auch ein Flugticket vorlegen, um eine sogenannte „Grenzübertrittbescheinigung“ zu bekommen, die ihm die Ausreise von einem Flughafen in Deutschland ermögliche. Bei der Ausstellung dieses Passes hätten die afghanischen Botschaften seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren erhebliche Probleme. Becker könne sich gut vorstellen, dass es hier gehakt habe.

Jurist zu Aschaffenburg: „Straftaten zu verhindern ist nicht Aufgabe des Asylrechts“
Der Fall in Aschaffenburg zeige jedoch: „Was beim Asylverfahren schieflief, hat nichts mit dem schrecklichen Messerangriff in Aschaffenburg zu tun. Es ist eine Sache des Strafrechts, Straftaten zu verhindern. Nicht die Aufgabe des Asylrechts.“ Die Messerattacke in Aschaffenburg hätte ein anderer Ablauf des Asylverfahrens nicht verhindert, sondern nur bessere polizeiliche Prävention und längere psychiatrische Unterbringung, so Becker.
In Länder wie Afghanistan, wo die humanitären Verhältnisse katastrophal seien, könne man psychisch auffällige Menschen in der Regel gar nicht zurückschicken. „Wenn Friedrich Merz aufgrund dieser Tat ein schärferes Asylrecht fordert, verarscht er die Wähler und Wählerinnen“, sagt Becker BuzzFeed News Deutschland und bezeichnet es als „Polemik“, dass CDU-Chef Merz am Donnerstag (23. Januar) in Berlin sagte, dass er bei einer Regierungsübernahme ein „faktisches Einreiseverbot“ für alle Menschen, auch die, die Asyl in Deutschland beantragen wollen, einführen werde.

„Das widerspricht der Genfer Flüchtlingskonvention und Artikel 16 im Grundgesetz. Dann müsste Deutschland aus der Europäischen Union austreten“, sagt der Jurist und verweist, wie auch der bald ehemalige SPD-Kanzler Olaf Scholz, auf das Grundrecht auf Asyl. Die Idee des CDU-Politikers, dass „ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder in zeitlich unbefristeten Ausreisearrest genommen werden können“, bis sie freiwillig die Ausreise antreten oder „die zwangsweise Abschiebung gelingt“, hält Becker für nicht umsetzbar und verfassungswidrig.
Abschiebehaft könne man nicht einfach anordnen, nur weil jemand ein Straftäter sei. Da müsse eine akute Fluchtgefahr bestehen. „Nur weil jemand ausreisepflichtig ist und seiner Ausreisepflicht nicht nachkommt, kann man ihn nicht einfach einsperren. Das würde Deutschland erhebliche Probleme mit dem Grundrechtsschutz und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention bekommen.“