Probeaufgaben im Bewerbungsprozess sind in vielen Branchen gängig. Doch sind sie gerechtfertigt oder sollten sie gar bezahlt werden? Das findet zumindest eine Person, die sich im April 2024 bei der SEO-Agentur findling beworben hat. Sie musste eine Probeaufgabe machen, bekam die Stelle jedoch nicht. Also schickte der Bewerber dem Unternehmen eine Rechnung über 184 Euro.
„Wir haben das erst gekonnt ignoriert, dann abgewehrt […] jetzt zum Jahreswechsel kam dieses PDF mit Drohung, damit vor das Arbeitsgericht zu gehen“, schreibt findling-CEO Maurice Marinelli und macht das Schreiben auf Linkedin öffentlich. Mittlerweile fordere der Bewerber 194,92 Euro, „fein säuberlich aufgedröselt, inklusive Berechnung von Verzugszinsen“.
„Ich bezahle das auf keinen Fall“, sagt Marinelli BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Was der Bewerber da abgeliefert habe, sei „Schrott“ gewesen. Und selbst wenn es richtig gut gewesen wäre, hätte er es nicht bezahlt. In seinen Augen sei es „faul, zu erwarten, dass man etwas bekommt, ohne ein Mindestmaß an Aufwand zu investieren“. Wer nicht bereit sei, etwas Vorarbeit zu investieren, den wolle er nicht als Arbeitnehmer haben. „Der Arbeitsmarkt ist ja groß genug.“
Probeaufgaben: „Habe schon viel Grenzwertiges und Unverschämtes erlebt“
„Ich finde es gut, dass der Bewerber in diesem Fall klare Kante zeigt. Wer weiß schon, was dort genau abgelaufen ist, wie weit die Gespräche fortgeschritten waren, wie umfangreich die Aufgabe wirklich war?“, sagt Margit Schäfer* BuzzFeed News Deutschland. Sie steht Probeaufgaben zwar allgemein aufgeschlossen gegenüber, hat aber selbst schon „viel Grenzwertiges und Unverschämtes erlebt“.
Einmal sollte sie für ein Unternehmen eine detaillierte Social-Media-Strategie entwerfen. Sie investierte mehrere Tage, nur um dann trotz großer Begeisterung zu hören, dass die Stelle doch nicht genehmigt werde. „Da habe ich mir geschworen: Das war das letzte Mal, dass ich eine derart umfangreiche Probeaufgabe bearbeitet habe“, sagt Schäfer. Vor allem, als sie einige Zeit später auf dem Social-Media-Kanal des Unternehmens auch noch ihre eigenen Ideen wiederfindet.
„Selbständige Marketingexperten und Agenturen lassen sich Strategiearbeit zu Recht teuer bezahlen. Es ist grenzüberschreitend, solche umfangreichen Tätigkeiten in Form von Probeaufgaben kostenlos zu fordern“, sagt sie. „Ich bin mir sicher, dass es viele Unternehmen gibt, die Probeaufgaben lediglich mit dem Ziel einsetzen, kostenfrei Expertenwissen abzugreifen und nicht um neue Mitarbeiter zu rekrutieren.“ Da werde die Hoffnung von Bewerbern auf einen potenziellen neuen Job „dreist genutzt, um viel Geld zu sparen“.

Arbeitsrechtlerin übers Probearbeiten: „Arbeitsleistung ist grundsätzlich zu bezahlen“
„Wenn Unternehmen sich mit Probeaufgaben kostenlose Strategien ergaunern, ist das natürlich etwas anderes. Da verstehe ich den Frust“, sagt Marinelli BuzzFeed News Deutschland. Bei seinen Probeaufgaben handle es sich um ein kurzes Textbriefing, das die Person ohne Anfahrtsweg von zu Hause schreiben könne. „Das war eine Stunde Aufwand maximal, vor allem für jemanden, der angibt, sieben Jahre Berufserfahrung zu haben“, sagt der Chef über die Bewerbung. Die Person wolle einfach die Zeit, die er in die Bewerbung gesteckt habe, vergütet haben.
Zu Recht? „Arbeitsleistung ist grundsätzlich zu bezahlen. Das gilt auch dann, wenn die Vergütung nicht ausdrücklich vereinbart ist. Nach diesem Grundsatz ist auch eine Arbeitsleistung, die beim ‚Probearbeiten‘ erbracht wird, erstmal zu bezahlen“, sagt die Fachanwältin für Arbeitsrecht Mareike Curtze BuzzFeed News Deutschland.
Entscheidend dafür sei nicht, ob der Arbeitgeber und der Bewerber sich auf eine Vergütung der Probeaufgabe geeinigt hätten, sondern die Frage, ob der Bewerber eine „Arbeitsleistung“ erbracht habe. „Liefert der Bewerber auf Anweisung des Arbeitgebers im Rahmen des Probearbeitens ein vollständiges Arbeitsergebnis, stellt das ein starkes Indiz dafür dar, dass es sich um eine Arbeitsleistung des Bewerbers handelt – die der Arbeitgeber dementsprechend bezahlen muss.“
Als Beispiel nennt die Arbeitsrechtlerin einen Haarschnitt beim Frisör und eine Präsentation oder ein Designprodukt in einer Kreativagentur. Das gelte erst recht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsergebnis verwerte, also zum Beispiel den Haarschnitt in Rechnung stelle oder die Präsentation veröffentliche.

Was für Unternehmen beim Probearbeiten ein noch „größeres Risiko“ ist
Das „noch größeres Risiko“ beim Probearbeiten liege für Arbeitgeber darin, dass durch das Erbringen von Arbeitsleistung ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Bewerber begründet werde, das nur durch eine ordentliche Kündigung beendet werden könne. Dann müsse ein Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist Gehalt zahlen.
„Aus diesem Grund sollten Arbeitgeber – wenn Sie Bewerber ‚Probearbeiten‘ lassen – unbedingt darauf achten, dass dieses nur in einem zeitlich begrenzten Rahmen (empfehlenswert ist z. B. nur ein halber Tag) stattfindet und der Bewerber an diesem Tag keine Arbeitsanweisungen erhält, sondern nur mitläuft, um sich einen Eindruck von dem potenziellen neuen Arbeitgeber zu machen“, sagt Curtze BuzzFeed News Deutschland. Arbeitgeber sollten darauf achten, dass Bewerber keine Arbeitsergebnisse oder allenfalls Teilleistungen (z. B. das Begrüßen von Kunden, Erstellen einer Vorskizze) anfertigen.
„Für mich hängt die Seriosität von Probeaufgaben immer von deren Umfang, dem Kontext und vom Zeitpunkt im Bewerbungsprozesses ab“, sagt Schäfer. Sie lässt in Zukunft die Finger von Probeaufgaben, deren Bearbeitung durch Experten entweder viel Geld kosten würde oder die ganz ohne Gespräch gefordert werden. „Am besten immer aufs Bauchgefühl hören – unseriöse Unternehmen und Praktiken sind in der Regel recht schnell als solche erkennbar.“